PM: Der Mensch als Hauptopfer Kieler Verkehrspolitik #KielAutofrei #GaardenAutofrei #SüdspangeStoppen #OstringII #SPDKiel
By Thilo Pfennig
Pressestatement des Projektes „Gaarden Autofrei“
Kaiserstraße 56
24143 Kiel
Kiel, 19.08.2020
Der Mensch als Hauptopfer Kieler Verkehrspolitik
Eine Stellungnahme zudem Artikel in der Kieler Nachrichten vom 19.08.2020: „Ich warte auf den Verkehrsinfarkt“, in dem auf Sichtweisen in der Ostufer-SPD eingegangen wird, die einen Ausbau von Südspange und Ostring II fordern.
Seit Jahrzehnten wird in Kiel die Verkehrsinfrastruktur und der Hafen ausgebaut. Die Signale für den Autoverkehr standen immer auf Grüne Welle. Symbolisch ist die Fußgängerunterführung unter dem Ostring in der Stoschstraße: Alle anderen Verkehrsteilnehmer:innen werden „aus dem Weg geschafft“, weil man an dieser Stelle keinen barrierefreie Ampelübergang für alle schaffen will. Zwar ist hier die Hauptverbindung der Veloroute 8, aber einen Radweg ist es nicht! Der Tunnel kostet die Stadt Kiel seit Jahrzehnten Geld für das Sauberhalten, neue Beleuchtung und zuletzt noch neue Bemalung. Es kommt an dieser Stelle deshalb täglich zu Konflikten und dazu, dass Menschen mit Gehbehinderungen von Gaarden aus zu Fuß nur mit großen Umwegen nach Elmschenhagen gehen können. Kiel verfolgt nach wie vor die Ideologie, dass nur ein schneller Autoverkehr relevant ist, der nicht zu lange warten darf. Die Menschen, die in Gaarden leben, zählen dagegen nichts.
Es ist daher bezeichnend, wenn beklagt wird, das zu wenig von den betroffenen Menschen (vermutlich am Ostring). Man muss dem grundsätzlich zustimmen, aber aus einem anderen Grund: Sicher wurde von vielen Gegnern der Südspange bisher häufiger betont, was ein Verlust für die Natur die Südspange bedeuten würde und welche Herausforderung der Klimawandel bedeutet und welchen Beitrag an zusätzlichen CO2 die Spange mit sich bringen würde. Vielleicht wurde tatsächlich zu wenig darauf eingegangen, was Verkehr schon heute, aber auch dieses neue Projekt für die Menschen bedeutet und bedeuten wird? Die richtige Antwort auf diese Kritik ist: Sowas kommt von sowas!
Um es mit den Worten eines CDU-Ortsbeirates zu sagen: Die Stadt hat an allen Stellen immer alle Hähne für den Autoverkehr voll aufgedreht. Das war eben der Gedanke der autogerechten Stadt: Geht es dem Autoverkehr gut, geht es der Stadt gut und geht es der Stadt gut, geht es den Menschen gut. Nur das „Verkehrsadern“ nicht, wie es der Name suggeriert mit Lebensadern gleichzusetzen sind und Sauerstoff heranschaffen. Im Gegenteil: Hauptverkehrswege strangulieren die Stadt und nehmen ihr wortwörtlich die Luft zum Atmen!
Die Probleme am Theodor-Heuss-Ring sind hausgemacht: Bereits der Ausbau in den 60er Jahren war ein Fehler, den er hat im großen Stile Autoverkehr rangeschafft. Man hat große Gewerbegebiete geschaffen aber ansonsten zum Teil mit der „großzügigen Verkehrsführung“ tote Flächen. Zwar konnten sich an den Rändern teilweise gut aufoaffines Gewerbe ansiedeln, das weitere Verkehre erzeugte. Aber wohnen wurde dort jedes Jahr unattraktiver und die breite Trasse bot keinen Platz für weitere Wohnhäuser oder Kleingewerbe. Der CITTI-Park ist das typische Ergebnis dieses Ausbaues: Statt bequem nur wenige Meter weit einkaufen zu können fährt man mit dem Auto kilometerweit zu zentralen und riesigen Einkaufszentren. Jede Wirkung und jede Maßnahme führt zu weiteren Folgen.
Im Geiste diesen Denkens sind auch Ideen zum Ostring II und der Südspange zu betrachten. Sie sind eine zwanghafte Fortführung eines verzweifelten Versuches den Verkehr in Kiel zu bändigen.
Bei einem Feld, dass bewässert werden soll: Zwar brauchen alle Pflanzen auch Wasser, aber wenn immer mehr Wasser fließt, wird das Wasser zum Problem. Man kann zwar immer mehr Abflusskanäle bauen, aber man wird damit das Problem nicht an der Quelle packen. Und genau so ist es mit dem Verkehr: Politiker sprechen gerne von „Entlastung“, wenn sie von neuen Straßen sprechen. Doch wenn ein mal die neuen Straßen gebaut sind, wird kein Auto weniger nach Kiel hereinfahren. Man spricht dann vom „induzierten Verkehr“: Es ist ein durch vielfache Studien gut belegtes Phänomen, das neue Straßen neuen Verkehr erzeugen. Je schneller Wege zurückzulegen sind, desto häufiger werden weitere Wege zurückgelegt. Das Berühmte „mal eben schnell erledigen“ oder „mal eben schnell zum Strand“.
Im Konkreten würde eine Südspange mehr Verkehr für den Ostring, aber auch in Gaarden selbst bedeuten. Und das Gesamtsystem Autobahnanschluss selbstverständlich mehr Verkehr auf der B76 und in Kiel insgesamt. Auch das wird zum Teil in den vorliegenden Verkehrsgutachten bestätigt. Sollte die Südspange kommen, so wird diese auf jeden Fall vor dem Ostring II kommen. Und ob der Ostring II kommen wird, ist noch unsicherer in Zeiten des Klimawandels. Das heißt, das mit der Südspange eine „Lösung“ kommt, bei der nur eines sicher ist. Die Anwohner:innen werden noch viel mehr Autoverkehr erleben, während die Lösung für sie noch auf sich warten lassen wird.
Nicht ein mal eine Streckenführung des neuen Ostrings steht offenbar fest. Bisher waren Tunnellösung im Gespräch und auch eine Führung auf der zukünftigen Route des Hein Schönberg (der u.a. auch als Entlastung des Ostrings gedacht ist). In dem Artikel wird nun die Variante über den Kreis Plön erwähnt. Wissen die schon von ihrem Glück? Und: Es würde bedeuten, das neue Umwege gefahren müssten, die Autos müssten auch erst mal die Stadtgrenze erreichen. Und „dünn besiedelt“ heißt: Viel Natur. Das heißt wir wollen viel unberührte Natur, die noch Naherholungsgebiet ist opfern? Damit die Leute mit ihren Autos noch weiter hinaus fahren müssen zur nächsten „unberührten Natur“?
Wir befinden uns in der Verkehrspolitik in Kiel an einem Scheideweg: Mittlerweile propagiert die Stadt mit Verwaltung und Ratsversammlung und unter unterschiedlichen Parteien durchaus einen Wandel hin zum Umweltverbund und zur Reduzierung des Autoverkehrs. Doch viele Maßnahmen bleiben symbolisch. Wir erleben viele gegenläufige Maßnahmen. Wohl auch, weil trotz aller umweltpolitischen Ausrichtung man auch den Wähler:innen, die auf das Auto angewiesen zu sein glauben etwas geben will. Drei Schritte vor und zwei zurück. Zwar lesen wir seit Jahrzehnten von einer neuen Stadt(regional)bahn, aber noch liegen keine Gleise und noch fährt sie nicht. Und das, weil keine der Parteien sie wirklich durchsetzen wollte. Und so ist noch heute die Stadt Kiel die einzige Landeshauptstadt ohne leistungsfähigen Schienennahverkehr. Auch das entlastet natürlich nicht die vorhandenen Straßen.
Es sind natürlich noch andere Weichenstellung die falsch gelaufen sind: Der Alte Güterbahnhof wurde nicht ausgebaut, sondern zum Gewerbegebiet umgebaut und Deutschland insgesamt hat es nicht geschafft im nötigen Maße Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern. Gleichzeitig hat Kiel aber auf ein immer weiteres Wachstum des Hafens gesetzt mit mehr Fahrgästen und mehr Gütern. Dagegen wurde die Naherholungs- und Touristik-Qualität des Hafens immer weiter verschlechtert. Und auch die Notwendigkeit der Kieler:innen immer weiter zu fahren, um noch das Meer zu erleben! Und statt als Tourist aus dem Bahnhof zu treten und am Kai spazieren gehen zu können, müssen Besucher:innen längere Strecken überwinden, was es auch attraktiver macht, statt mit der Bahn gleich mit dem Auto anzureisen.
Diese gegenläufigen Politiken die gleichzeitig das Auto fördern und es einschränken können natürlich nicht zu einem guten Ergebnis führen. Die Kieler SPD ist dabei hauptverantwortlich für die Jahrzehnte autogerechter Politik. Und wo stehen wir heute 2020? Niemand hätte in den 50er gedacht, dass all die schönen neuen Straßen nicht etwas zu freier Fahrt für frei Bürger:innen führen, sondern mehr Stau, mehr Frust, immer weitere Straßen. Hätte man das damals sehen können, hätte man vielleicht eine andere Politik gemacht. Wir kommen aber um diesen Streit um die besten Verkehrskonzepte nicht herum. Die Menschen brauchen eine Aussage: Sollen sie sich jetzt einen Stellplatz in der Kieler Innenstadt mieten oder bleibt das (teurere) Monatsticket der KVG ? Bisher signalisiert man den Bürger:innen, dass sie vielfach mit dem Auto bevorzugt werden und damit, dass es sich lohnt noch mal ein Auto zu kaufen, statt es abzuschaffen.
Es reicht nicht hier und da eine Veloroute anzulegen oder eine Fußwegeachse zu definieren. Es braucht mehr als nur einen Plan – die Maßnahmen müssen zusammenpassen. Und es wäre empfehlenswert mehr Flächengerechtigkeit walten zu lassen und nicht alle anderen Verkehrsträger wo es nur geht zu benachteiligen. Es gibt in Kiel einige gute Ansätze, wie auch eine Mindestnutzungsbreite für Gehwege um die Qualität der Gehwege zu erhöhen und attraktiver zu machen.
Viele Menschen können sich kein Auto leisten. Kiel braucht barrierefreie Mobilität für Alle, statt Schnellstraßen für Wenige!